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Die Tertiärexistenz des Menschen



Über eine neue anthropologische Sensation hat man in den letzten Wochen (im Jahr 1932) in der europäischen und amerikanischen Presse manches lesen können: über die - angeblich - endgültige Entdeckung des Affenmenschen, des Orang Pendek, einer seltsamen, zwergwüchsigen, noch lebenden, armselig in den menschengemiedenen Urwäldern des Rokangebietes im östlichen Sumatra lebenden Zwischenstufe zwischen Mensch und Tier, genauer zwischen Menschenaffen (Anthropoiden) und Mensch (Anthropos-Homo sapiens).  Schon 1925, auf von Eingeborenen verbreitete Gerüchte über die Existenz solcher affenähnlicher Zwergmenschen hin, hatte die holländische Regierung eine wissenschaftliche Expedition ausgerüstet, deren Streifzüge durch die Urwälder der Rieseninsel aber ergebnislos blieben.  Inzwischen ist ein Exemplar dieser geheimnisvollen Frühmenschenart von einem Holländer einwandfrei beobachtet worden: ein affenartiges, nur stellenweise behaartes pygmoides Individuum mit niederer, fliehender Stirn, kinnlos, mit winzigen Zähnen, ungewöhnlich langen Armen und schriller Stimme.  Und ein junges, weibliches Exemplar dieser zumeist noch auf Bäumen lebenden Menschenrasse ist auf Aufforderung des Zoologischen Museums Buitenzorg hin brutal abgeschossen und bei der Regierungsstelle des Radscha von Rokan abgeliefert worden.

Mit dieser aufsehenerregenden Nachricht sind, wieder einmal, die Fragen aktuell, die im Zusammenhang mit der Generalfrage "Herkunft des Menschen" behandelt werden müssen.  Die Fragen nämlich nach dem gegenwärtigen Stand des Abstammungs- und des Affenverwandtschaftsproblems, die Fragen nach dem Missing link, nach neuen Fossilfunden und die wichtigen, aber schwierigen Fragen nach dem Alter des Menschen und seiner Kultur und nach der Entstehung des Menschen überhaupt.
In den letzten fünf Jahrzehnten (1880-1932) sind diese Fragen schon so und so oft - vermeintlich - gelöst worden, um hinterher, unter dem Eindruck neu zutage getretener Gesichtspunkte, immer wieder von neuem aufgeworfen zu werden.


Unzählige Funde von Aschenresten, von Tierknochen-, Muschel- und Steinwerkzeugen, von Waffen und auch von Skelettresten haben es evident gemacht, daß nicht nur vor 20 000 und 50 000 Jahren, sondern schon hunderttausend, zweihunderttausend und mehr Jahre vor der christlichen Zeitrechnung nomadisierende, Wild jagende Menschenhorden so gut wie über die ganze Erde streiften und Spuren ihrer primitiven Kultur hinterließen.  Auf diese Hinterlassenschaften eben sind die Urgeschichtswissenschaften, die Anthropologie und Paläontologie, die Paläoarchäologie, die Paläoethnologie vor allem, angewiesen.  Sie sind empirische Wissenschaften und sagen, von ihrem Standpunkt aus mit Recht, daß nur diese mit Händen greifbaren Erdeinbettungen - es sind vorläufig in den meisten Fällen Quartäreinbettungen - mit Einbeziehung aller sonstigen Lagerungsverhältnisse (Begleitindustrie) die notwendigen Anhaltspunkte geben können, zu den in Frage stehenden Problemen, hier also zum Problem des Alters der Menschheit, Stellung zu nehmen.

Das Schema Holz-(Muschel-)zeit-Steinzeit-Bronzezeit--Eisenzeit, wie es jahrzehntelang als Grundlage aller Urgeschichtsforschung gegolten hat, ist heute über Bord geworfen.  Es hat sich herausgestellt, daß diese Kulturabfolgen in den meisten Fällen nur lokale Gültigkeit haben.  Das heißt, daß, während es hier noch eine Steinzeit gibt, dort bereits eine hochentwickelte Bronze- oder Eisenzeit blühen kann.  Es existieren beispielsweise heute, also gleichzeitig mit einer Stahl- und Elektrizitätszeit, Menschen, die noch in der Steinzeit leben, wie in den Amazonasurwäldern oder auf vielen Inseln des Malayischen Archipels.  Oder die Hochandenkulturen - für sie hat Posnansky nachgewiesen, daß es dort, weil das Kupfer in nativer Form zutage tritt, also ebenso leicht zu erlangen ist wie Stein, eine Steinzeit überhaupt nicht gegeben hat.

Dieses grobe, vermeintlich allgemein gültige Schema hat also nicht ausgereicht.  Menghin hat in seiner "Weltgeschichte der Steinzeit" einen neuen und erweiterten Rahmen geschaffen, Ausgangspunkt aller prähistorischen Untersuchungen bleibt nach wie vor die stratigraphische Chronologie, die auf der vertikalen Abfolge der Fossilien und Artefakte führenden Erdschichten beruht.  Aber die Chronologie ist für die verschiedenen Kulturbezirke eben verschieden. - Am weitesten fortgeschritten ist die stratigraphische Untersuchung in den europäischen Ländergebieten.  Hier fixiert Menghin verschiedene Abläufe etwa für das Nördliche West- und Mitteleuropa und für den Mittelmeerkomplex und Südfrankreich.  Ganz anders wiederum vollziehen sich - das läßt sich heute bereits übersehen - etwa die alt- und vorsteinzeitlichen Entwicklungen in Südafrika und Zentralafrika (Kap, Uganda, Kenya), Asien (Palästina, Indien, Nordchina, Mongolei) und Amerika.  Von einer zeitlichen Parallelsetzung ist keine Rede.  Und auch die Umstände treten zutage, die jede urgeschichtliche Untersuchung in so außerordentlicher Weise erschweren:
die derzeit immer noch bestehenden ungeheuren Lücken im vorliegenden urgeschichtlichen Material - sie sind auf die so gut wie nur zufallsmäßige stratigraphische Durchforschung der weitesten Teile der Erde zurückzuführen,
und die Erkenntnis, daß sich die frühen Kulturperioden in von der Gegenwart durchaus verschiedenen geologisch-geographischen Verhältnissen abspielen.  Das gilt schon für die älteste Steinzeit.  Damals, also im Tertiär und an der Schwelle des Quartärs, verbinden beispielsweise Europa noch breite Landbrücken mit Afrika, die Britischen Inseln sind noch mit dem Festland verwachsen, weite Gebiete des Mittelmeeres und der heutigen nordafrikanischen und vorderasiatischen Wüstenbezirke sind ungeheure, fruchtbare Savannen, auf denen Riesenherden von Elefanten und Affen weiden, in Deutschland, in der Rhön und Eifel, lodern noch Vulkane auf, und über große Teile des europäischen Kontinents schieben sich Eiszeitgletscher.


Der Versuch, diese Perioden datenmäßig festzulegen, stößt auf größte Schwierigkeiten.  Menghin konstatiert schon, wenn er für das Datum der Beendigung des letzten nordeuropäischen Eishöchststandes etwa 14 000 Jahre vor Christus (das ist etwa das gleiche Datum, das Kiß-Rolf Müller für den Untergang Tihuanakus und der Vorinkakulturen - unter dem Ansturm der Mondeinfangflut - errechnen) und für den Beginn des Aurignaciens 20 000 Jahre zugeben muß, "ein gewisses Unbehagen".  Die Zumutung gar, die Besiedlungsdauer der großen Fundstation von Willendorf mit 50 000 Jahren anzunehmen, lehnt er glattweg ab und meint abschließend: "Für die absolute Datierung der protolithischen Kulturen gibt es noch keine brauchbaren Anhaltspunkte.  Man kann nur sagen, daß ihre Entfaltung einen wesentlich längeren Zeitraum in Anspruch genommen haben muß, als er für das Miolithikum zu ermitteln ist."
Um welche "wesentlich längeren Zeiträume" geht es nun aber erst, wenn man sich nicht bloß auf miolithische und protolithische Kulturperioden einlassen, sondern den Versuch machen möchte, das stammesgeschichtliche Alter der biologischen Art Mensch überhaupt festzulegen?
Für das ganze Diluvium wäre nach Schultz ein Zeitraum von schätzungsweise 650tausend Jahren anzusetzen.  Soergel schätzt den Homo Heidelbergensis auf 500tausend Jahre.  Das Tertiär liegt 10 Millionen Jahre zurück, die Kreidezeit liegt 60, Jura 100 Millionen Jahre vor der christlichen Zeitrechnung.
Zeitangaben werden also wesenlos.  Die Jahreszahl muß ersetzt werden durch Zeitbestimmungsmöglichkeiten aus anderen Wissenschaftsgebieten - etwa der Geologie, Paläontologie, Paläomythologie.  Durch Untersuchungen nach solcher Richtung hin gelangt man alsbald dazu, zu erkennen, daß der Mensch nicht seit Hunderttausenden, sondern seit Millionen Jahren auf der Erde existiert haben und als kulturschaffender Faktor aufgetreten sein muß.  In einem ungeheuren Auf und Ab erlebt er sein Schicksal, und was - vorläufig! - der Paläoanthropologie, der Paläoarchäologie und -ethnologie greifbar geworden ist, das sind zum größten Teil nur Hinterlassenschaften einer ganz späten, barbarisch und primitiv gewordenen, mühselig von neuem Kultur schaffenden Periode, in die der Mensch hinabsank, nachdem ungeheure, umwälzende Naturkatastrophen uralte und urlange kulturelle Hochblüten vernichtet hatten.


Als der "Dilettant" und "Outsider" Hanns Hörbiger 1912 seine Thesen von einem außerordentlichen Alter des Menschengeschlechts formulierte, mußten sie nicht nur als kühn, sondern geradezu als indiskutabel aufgefaßt werden.  Inzwischen aber sind sie - siehe Dacqué, Klaatsch, Osborn - fast eine Selbstverständlichkeit geworden - wieder einmal ein Fall einer genial-intuitiven Vorwegnahme späterer wissenschaftlichen Erkenntnis. 
Welches war denn damals, also vor 20 Jahren (vom Jahr 1932 zurückgerechnet) - und ist leider stellenweise noch bis auf den heutigen Tag - der Standpunkt der offiziellen Anthropologie?  Besteht bei ihr überhaupt eine einheitliche Behandlung und Auffassung dieser Frage?
Sie besteht mitnichten.  Es herrscht krasseste Meinungsverschiedenheit.  Man ist sich (während eine fortschrittlich eingestellte Gruppe unter den Anthropologen die Affenherkunftstheorie überhaupt ablehnt) in ihren Reihen noch nicht einmal darüber einig, ob man sich auf einen monophyletischen Ursprung - also eine Menschenaffenart als Menschenahnherr - festlegen soll oder auf einen Polygenismus: Abstammung des Menschen von verschiedenen tierischen Wurzeln; jede Rasse steht in Stammesbeziehung zu einer bestimmten Affenart, die Weiße Rasse zum Schimpansen, die Gelbe zum Orang Utan, die Schwarze zum Gorilla....
Neuerdings ist diese These vom polygenetischen Ursprung wieder zurückgestellt worden, weil man wenigstens diese Erkenntnis akzeptiert hat, daß "eine einmal eingetretene biologische Spezialisierung nicht wieder rückläufig werden" kann.  Zu beiden Thesen ist aber zu bemerken, daß sie mehr oder weniger Angelpunkt der gesamten Abstammungslehre geworden sind.

Zum allerersten Male hat bekanntlich Haeckel - in seiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" - einen Stammbaum des Menschen bildlich entworfen.  Er war damals höchst vorsichtig.  Brachte den Menschen nur mit dem niedrigsten und urtümlichsten Menschenaffen, dem Gibbon, in stammesgeschichtliche Beziehung, weil er ganz richtig erkannte, daß "urtümlich gebildete Formen viel eher geeignet sind, in den Stammbaum hineinzugehören, als einseitig oder ganz ausgebildete"!  Diese Frage der Mensch-Affen-Verwandtschaft ist nun inzwischen aufs nachdrücklichste durchforscht worden.  Offiziell wird gegenwärtig die Abstammung des Menschen von einem ausgestorbenen Menschenaffentyp des Tertiärs oder der Braunkohlenzeit verfochten.  Die höheren Affen treten erst im Miozän (Jungtertiär) auf, für das 15 echte schmalnasige Affen, einige breitnasige (Brasilien-Argentinien) nachgewiesen sind (ebenso in Ägypten katzengroße, oligozäne, also alttertiäre Affen).  An der Affenverwandtschaft - nicht Affenherkunft! - wird aber unter allen Umständen festgehalten, weil (nach der inzwischen überholten Meinung von Huxley) "die Unterschiede in der Bildung jedes Körperteils zwischen Menschen und Menschenaffen geringer sind als zwischen Menschenaffen und den niederen Affen".  Und Weinert (vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie), noch heute Vertreter der krassesten Deszendenztheorie im Sinne Haeckels, fixiert, offenbar ganz überflüssigerweise, eine Stammesgruppe der Summoprimaten, die Gorilla, Schimpanse und Mensch zusammen-, den Orang Utan dagegen als früh abgespaltenen Zweig ausschließt und speziell im Schimpansen ein Tier erkennen will, das mit keinem anderen Tier so innig wie mit dem Menschen durch den gemeinsamen Besitz vieler Erbmerkmale verbunden sei.

Mit diesem Mensch-Affen-Verwandtschaftsproblem hängt auch die immer noch nicht aufgegebene Suche nach dem Missing link zusammen, das bis heute nicht gefunden worden ist, weder auf Java (Trinilmensch) noch in Chon Kou Tien (Pekingmensch).  Um was es im Grunde dabei geht, hat Ranke beschrieben: "... Der Darwinismus glaubte voraussetzen zu müssen, daß sich in älteren geologischen Formationen die Überbleibsel einer menschlichen Stammform finden müßten, die die körperlichen Eigenschaften der jetzt in so manchen Beziehungen voneinander abweichenden Menschenrassen in sich vereinigte, vielleicht auch die gegenwärtig so tief klaffende Kluft zwischen dem Menschen und dem menschenähnlichen Affen in irgendeiner Weise zu überbrücken geeignet wäre.  Man hat sich wohl theoretisch ein Bild von dem zu erwartenden Urmenschen konstruiert; man glaubte, annehmen zu müssen, daß er körperlich wie geistig den Tieren näher gestanden haben müsse als der heutige Mensch.  Da die Hauptunterschiede zwischen Mensch und Tier in der differenten Ausbildung des Gehirns liegen, so schien man kaum daran zu zweifeln, daß die Vertreter der diluvialen Urrasse Europas, jene 'gedankenlosen' Wilden, eine geringere Gehirnausbildung und damit einen entsprechend kleineren Gehirnschädel (!) und relativ größeren und tierischeren Gesichtsschädel besessen haben müßten.  Sollte nicht auch der Bau der Arme und Beine und deren gegenseitiges Längen- und Stärkeverhältnis sowie die Bildung von Hand und Fuß, wodurch die menschenähnlichen Tiere sich so auffallend von dem heutigen Menschen unterscheiden, bei dem Urmenschen noch tierischer und affenähnlicher gewesen sein?"

Nun, so gut wie Punkt um Punkt haben die Anthropologen mit nach solchen Richtungen gehenden Erwartungen Schiffbruch erlitten.  Sowohl hinsichtlich der Idee der einstigen Existenz einer einheitlichen Stammform wie eines affenmenschlichen Individuums, das die Kluft zwischen Affengeschlecht und Menschengeschlecht überbrücken soll.  Mit der Affenverwandtschaft scheint es überhaupt nichts zu sein, wenigstens nicht mit einer ins Tertiär zurückzudatierenden. - Dacqué erklärt ausdrücklich daß "schon die aus der Tertiärzeit bekannten Affengattungen so spezialisiert sind, daß sie ... überhaupt nicht als Ahnen eines Diluvialmenschen in Betracht kommen".
Und als ganz besonders verfehlt, haben sich die seinerzeitigen Anschauungen und Schlußfolgerungen der Anthropologen hinsichtlich der Fragen Gehirnausbildung und Bildung von Hand und Fuß herausgestellt.


Noch heute vertreten die Anhänger der Deszendenztheorie die Behauptung: Alle Lebewesen stammen von einer einzigen Urform her.  Diese Urform, möglichst undifferenziert, möglichst wenig nach irgendeiner biologischen Spezialausbildung hin festgelegt, trägt irgendwie die Potentia, die machtvolle Fähigkeit, in sich, alle späteren Formen der tierischen (inklusive der menschlichen) Entwicklung aus sich herauszubilden.
Wo also ist denn eigentlich der Stammvater des Menschen anzusetzen?  In dieser primären, vor allen anderen Tiergeschlechtern existierenden Urform?  Oder vielleicht in einer späteren, etwa einer tertiären Form?  Einer forma typica, einer nach dieser und jener Richtung doch schon herausspezialisierten Sekundo-Genitur-Urform, die äffische, sei es Gibbon-, sei es schimpansoide Merkmale trägt?  Und besteht bei solcher Klarstellung der Verhältnisse nicht eine gewisse Beziehung zwischen dieser generell präexistierenden Urform der Deszendenzlehre und dem menschenspezifischen Urtyp Dacqués, der das Menschengeschlecht als einen "eigenen persistenten Stamm" definiert, der, allerdings unter tiefgreifenden Verwandlungen, bis in älteste erdgeschichtliche Zeiten zurückreicht?
Damit ist der Kernpunkt des ganzen Menschenabstammungsproblems herausgeschält.  Darum nämlich handelt es sich: Wo setzt denn die Menschwerdung eigentlich ein?  Von welchem Augenblick an ist man denn - vom Standpunkt der Anthropologie aus - berechtigt, zu sagen: "Hier hört das Tier auf, hier beginnt der Mensch?"  Ist es richtig, genügt es, diesen Augenblick vom Auftreten bestimmter biologischer Merkmale abhängig zu machen?  Oder ist es notwendig, das Vorhandensein von Artefakten (Menschentechnik!), als wesentlichsten Faktor für den Eintritt jenes Augenblicks der Menschwerdung, nachzuweisen?  Ist Voraussetzung für Fixierung der Menschenexistenz auf Erden deren geistige Fundamentierung - etwa nach der Idee, die aussagt, daß vor allen spezifisch menschlich-biologischen Eigentümlichkeiten das Ichbewußtsein des Menschen, also so etwas wie eine spezifisch menschliche Seele oder eine spezifisch menschliche Intelligenz, da war?


Nach der herrschenden Anschauung der Biologen "beginnt" das Menschengeschlecht - wann?, zweifellos zumindest in einer Vorbereitungsstufe doch im Tertiär, und jedenfalls - damit, daß die Hände (Affenhände!) "frei werden" und (allmählich) der Übergang von der halbaufrechten Körperhaltung zur vollkommenen Aufrechthaltung vollzogen wird.  Aus den Kletterfüßen werden richtiggehende Schreitinstrumente mit Fußgewölbe, Waden und Gesäßmuskel, und, um die Eingeweidelast besser tragen zu können, vergrößern sich die Beckenschaufeln.  Das Haarkleid - das Affenfell - schwindet, das Hirngewicht wird größer, und damit wird - angeblich! - auch die Intelligenz eine größere.
Dieses namenlose Individuum an der Grenze zwischen Menschenaffen und Affenmenschen ist also der Homo sapiens-Keimling.  Es hat noch keine Kleider, kein Feuer, kaum eine Sprache, nur die primitivsten Waffen und Werkzeuge (unbehauene Steine, Baumknütteln), es trägt noch schwere, massige Augenwülste, besitzt ein kinnloses Haupt und noch mehr oder weniger eingeknickte Knie.  Aber es hat die spezifisch menschliche Hand mit dem opponierbaren Daumen, und es lebt in Horden und entwickelt so seine ersten sozialen Triebe.
Was nach ihm kommt, ist der "Urneandertaler" des (Miozäns?, und des) Pleistozäns (Pithecanthropus erectus-Javamensch?), der in Gegenden lebt, die heute wohl großenteils vom Meer bedeckt sind.  Er ist das "neue Wesen" (Mähler), das seine tierische Vergangenheit restlos von sich abgestreift hat, mit ziemlicher Fertigkeit läuft, sein Fuß ist ein wohlausgebildeter Stützer und Geher geworden wie seine Hand ein Greifer.  Es ist ein hochsoziales Wesen, das bereits eine primitive Sprache besitzt und Feuer zu erzeugen wie zu unterhalten imstande ist.
Erst die Nachkommen dieses "Urneandertalers" sind die "Vormenschen": der Eoanthropus Dawsonii/Piltdown, der Austral Pithekus Afrikanus/ Betschuanaland, der Homo Heidelbergensis/Mauer, der Sinanthropus Pekinensis/Chon Kou Tien, der Bañolasmensch, der Tabghamensch/Galiläa, der Rhodesiamensch, deren mit so primitiven Merkmalen behaftete Skelettreste in spättertiären-frühdiluvialen Schichten aufgefunden wurden.  Sie bilden den Übergang zum echten - an sich zwar auch noch genug primitiven - Neandertalertyp.
Der Neandertaler nun, der stratigraphisch folgt, der Urmensch von Düsseldorf, Gibraltar, Spy, La Naulette, Krapina, Moustier, Malta, tritt - das ist das wichtigste - bereits an der Schwelle des Tertiärs in mehrere Rassen geschieden auf!
Man kann fast sagen: So viele Skelette, so viele Rassen - allein diese Tatsache genügte, um entwicklungsgeschichtlich ein ungeheuer weites Zurückreichen des Menschen in die Erdgeschichte, also "seine uralte, wenn auch noch nicht eindeutig aufgehellte Herkunft", zu postulieren.

- Was hat man aber von all diesen sich scheinbar so zwanglos aneinanderkettenden Annahmen tatsächlich zu halten?  Nun, darüber ist man sich bereits im klaren, daß sich die entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge, wie sich bei näherem Zusehen erweisen wird, in Wirklichkeit doch nicht ganz so abgespielt haben, wie es die Anthropologie bisher angenommen hat, und daß sich vor allem die schönen Kombinationen von der Ausbildung der Hand, des Fußes und Gehirns nicht mehr halten lassen.


Die Hand, die den Menschen "frei macht", hat sich in Wirklichkeit nämlich gar nicht aus der Affenhand entwickelt.  Sie hat mit ihr überhaupt nichts zu tun.  Gegenüber der Menschenhand ist die Affenhand ein weitergebildetes (rückgebildetes) Organ.  Sie hat den opponierbaren Daumen - das entscheidende und (gegenwärtig) einmalige Charakteristikum der Menschenhand - nicht mehr, oder sie hat ihn verloren.  Aber der opponierbare Daumen ist ein uraltes Requisit, das schon die altsekundären Chirotheriumfährten (Thüringer Buntsandstein) aufweisen.  Der Mensch hat also, im Gegensatz zum Affen, dieses mesozoische Requisit beibehalten - allein dieser Umstand wäre schon als eigenartiges, wohl auf eine mesozoische Existenz des Menschen hindeutendes Argument anzusprechen.  Was für die Stellung des Menschen nicht nur dem Affen, sondern überhaupt allen Tiergeschlechtern gegenüber merkwürdig ist, ist aber, wie Dacqué bemerkt, nicht der Besitz der Hand als solcher, sondern die Tatsache, daß der Mensch dieses Gebilde eben in seiner Ursprünglichkeit beibehalten hat.
Und wie verhält es sich mit dem menschlichen Fuß? - Bei allen Säugetieren ist der Fuß Laufextremität.  Auch beim Menschen.  Der Affenfuß hingegen ist kein Gehfuß, sondern ein Greiffuß.  Der Affe kann auf seinen Füßen nur humpeln und meist nur sehr unsicher laufen, er zieht es vor - wenn er sich überhaupt über den Erdboden hinweg bewegen muß, was er lieber vermeidet - auf allen Vieren zu laufen.  Merkwürdigerweise aber gab es einmal eine Zeit, da längst ausgestorbene, um vieles primitivere Affen als die heute lebenden eine ausgesprochen flächige Sohle besaßen, also doch einen Gehfuß. - Nun macht der Menschenfuß in seiner embryonalen Entwicklung eine Phase des Greiffußes durch, die große Zehe steht ab wie bei der Hand der Daumen; hernach erst kommt es zur Ausbildung des Schreitfußes.

Was ist daraus für ein Schluß zu ziehen?  Daß der Menschenfuß wohl vom Kletterfuß (Greiffuß) herstammt, in seiner Gesamtausbildung jedoch das Ergebnis einer Sonderentwicklung darstellt, die aber nicht erst bei den menschenaffenähnlichen Formen eingesetzt haben kann, sondern um vieles früher (Corvin). -
Ganz besonders geeignet, bisherige Fehldiagnosen der Entwicklungslehre aufzuhellen und zugleich gewisse ihrer Fundamentalanschauungen zu erschüttern, ist aber alles, was mit dem Kapitel Schädelkapazität zusammenhängt.
Die Entwicklung des Großhirns - das die im Mesozoikum noch dominierende Zirbeldrüse (Parietalorgan) ablöst - soll Hand in Hand mit der Hinaufsteigerung des Affen zum Affenmenschen und zum wahren Menschen und Hand in Hand mit der Entwicklung der Intelligenz und der Kultur des Menschen gehen.  Zweifellos: Der Mensch besitzt unter allen heute lebenden Tierformen relativ das umfangreichste Gehirn, und es scheint so zu sein, daß hiervon, also von der Hirnquantität, der Grad abhängig ist, in dem ein Wesen Vernunft besitzt, also Schlüsse zu ziehen und sie auf andere Fälle anzuwenden fähig ist (Corvin).  Dennoch hat diese Annahme nur bis zu einem gewissen Grad ihre Richtigkeit.  Eine Nebeneinanderstellung der Schädelinhalte von Affen, von Vor- und Urmenschen und von Vollmenschen ergibt folgende erstaunliche Resultate: Schimpanse 427, Gorilla 557 Kubikzentimeter; Wedda 950-1200, Akka 1072; rezenter Europäer 1500 (im Durchschnitt, Schubert 1420, Kant 1650); Trinilmensch 900, Pekingmensch 1000, Piltdownmensch 1070, Spymensch 1233, Galley-Hillmensch 1350-1400, Ofnetschädel 1140 (weibliches Exemplar)-1500.  Und Neandertalermensch (nach Ranke)- 1532, La Chapelle aux Saints 1600 (!) und Cro Magnonmensch gar - 1640!

Was also besagt das?  Daß es auf den Schädelinhalt (Gehirnvolumen) gar nicht ankommt.  Nicht die Quantität der Gehirnmasse ist entscheidend.  Sondern die Qualität, die Gehirnstruktur: die Zelldichtigkeit der Großhirnrinde und die Hirnrindenoberfläche.  Kein Säuger erreicht mehr als 5000 Zellen je Kubikmillimeter Hirnrinde - beim Menschen steigt dieser Betrag auf mehr als 50 000!  Die Oberfläche eines Kaninchen- oder Vogelhirns ist so gut wie glatt, das Oranggehirn, mit allen seinen Furchungen, Faltungen und Windungen, bedeckt kaum mehr als etwa 500 Quadratzentimeter - das Menschenhirn hingegen, ausgebreitet, eine Fläche von rund 2000 Quadratzentimeter!


Unter ganz neuen Voraussetzungen also kann heutzutage an die Ergründung des wirklichen Alters des Menschengeschlechtes herangegangen werden.  Die offizielle Anthropologie freilich wehrt sich vorläufig noch gegen jede Zurückverlegung der Menschentstehung über das Diluvium hinaus, von ganz frühen geologischen Perioden erst gar nicht zu reden.  Schultz-München äußert sich zur Frage der Tertiärexistenz des Menschen unumwunden ablehnend: "Was den tertiärzeitlichen Menschen betrifft, so wissen wir von seinem Vorhandensein überhaupt nichts, nicht einmal Reste von Werkzeugen, Feuerstellen oder ähnlichem sind uns erhalten.  Die frühesten Reste sehr primitiv gebauter menschlicher Wesen sind uns erst aus dem Anfang des Diluviums bezeugt."  Allerdings fügt er gleich hinterdrein hinzu: "Die Tatsache des Vorkommens des Menschen im frühen Diluvium läßt uns die Vermutung nicht abweisen, daß es auch schon im späten Tertiär menschenartige Formen, die den großen Menschenaffen noch näherstanden, gegeben hat..." - Weinert schreibt: "Ein Mensch zwischen Sauriern der Kreidezeit oder auch noch der nachfolgenden Tertiärzeit ist ein solches Phantasieerzeugnis, daß kein Forscher auf diese eigenartigen Ideen verfiele, wenn es sich um die Stammesgeschichte von Pflanzen oder Tieren handelte...!"

Es ist fast die gleiche Situation wie vor 75 Jahren (zirka um das Jahr 1857), zur Zeit des Fuhlrottschen Neandertalerfundes.  Heute geht es um den Menschen, der älter ist als das Diluvium - er wird von der Zunftwissenschaft leidenschaftlich abgelehnt.  Damals ging es um den Menschen, der älter war als - 6000 Jahre!  Denn die Mehrzahl der Naturforscher, Anthropologen wie Paläontologen, hielt steif und fest an der Bibeltradition fest, derzufolge der Mensch körperlich und geistig fix und fertig vor etwa 6 Jahrtausenden auf Erden erschienen sei.  Überdies hatte doch Cuvier, er starb vor genau hundert Jahren, 1832, ausdrücklich erklärt, daß es einen eiszeitlichen Menschen, einen Zeitgenossen der ausgestorbenen Dickhäuter, nicht gegeben haben könne, erst nach der Eiszeit sei der Mensch erschaffen worden - und, trotzdem damals, 1856, schon die Schriften Lyells und Darwins erschienen und vielfältig unzweifelhafte Diluvialfunde (Artefakte) gemacht worden waren; diese, die Cuviersche Meinung war eben noch das Alpha und Omega so gut wie aller damaligen naturwissenschaftlichen Weisheit.  Als dann der simple Gymnasiallehrer Fuhlrott im Hochdahl bei Düsseldorf paar Knochen ausgrub und, genial-divinatorisch, in ihnen sofort Reste eines diluvialen Vorläufers des Menschen erkannte, war in wissenschaftlichen Kreisen der Teufel los; als Widerhall auf die Fuhlrottsche Behauptung erhob sich zunächst einmal ein Entrüstungssturm, der Auftakt war zu einem jahrzehntelangen leidenschaftlichen Für und Wider - ehe die Existenz der Neandertalerrasse speziell und die eines diluvialen Menschen überhaupt als historische Tatsache anerkannt wurde.  Der große Virchow war dafür, den Fund überhaupt zu streichen, weil er "ohne Aufsicht von Kennern" ausgegraben worden sei.  Er erklärte den Schädel zuerst als einem 1813 gefallenen Kosaken zugehörig und dann, auf die osteologischen Eigentümlichkeiten, die seltsame (heute würden wir sagen: urtümliche) Verdickung und Plumpheit der Knochen aufmerksam gemacht, für krankhaft verändert, nämlich als Hinterlassenschaft eines an Arthritis deformans leidenden, also gichtischen, jedenfalls aber alluvialen Individuums, dessen Krankheit als Folge seiner Lebensweise in einer feuchten Höhle zu erklären sei: ".... Ich habe, seitdem ich begonnen habe, mich mit der Untersuchung von Höhlen zu beschäftigen, ein ganzes Museum von Knochen gesammelt, wo ich an allen möglichen Teilen des Höhlenbären die wundervollsten Präparate der Arthritis deformans zeigen kann.  Diese Höhlengicht, die vielleicht wirklich mit dem Höhlenleben zusammenhängt, die der feuchten Kälte der Höhlen ihre Entstehung verdanken mag, hat auch der Neandermann, und sie hat gewiß Anteil gehabt an manchen der absonderlichen Erscheinungen, die sich an ihm finden."  Und der rheinische Gelehrte A. W. von Zuccalmaglio, der von Anfang an die wahre Bedeutung der Fuhlrottschen Funde erkannt hatte, berichtet: "Die Bonner Gelehrten wollten von meiner Annahme durchaus nichts wissen; erst als Lyell, als das ganze gelehrte Ausland längst von dem Funde Kenntnis genommen und meine ursprüngliche ... Behauptung bestätigt hatte, stieg die vornehme Bonner Gelehrsamkeit auch von ihrem hohen Paraderoß herunter."


Mensch und Saurier lebten in einer gemeinsamen Zeitepoche. (Ethnologisches Museum, Berlin)
Hier wird der Mensch, ohne "äffische Züge", dargestellt.  Wie alt ist der Mensch?
 

Fast genau so wie damals ist es also auch heute.  Trotz allen, und zwar beweiskräftigsten neuen Funden gilt im Grunde immer noch Rankes Standpunkt, der die Anerkennung der Tatsache einer Tertiärexistenz des Menschen in vorsichtig verklausulierter Form, aber dennoch ablehnt: "Die ... Entwicklung der wissenschaftlichen Denkweise glaubt den tertiären Menschen oder wenigstens ... einen Vorläufer des Menschen in der Tertiärepoche zur Lösung so mancher theoretischen Schwierigkeiten, namentlich der Ethnologie und der Rassenkunde, voraussetzen zu müssen.  Trotz dieses sehr allgemeinen Wohlwollens, das der Anerkennung des tertiären Menschen entgegengebracht wird, konnten sich die behaupteten Spuren und Überreste noch keine genügende Anerkennung erringen, um seine Existenz zu einem wissenschaftlichen Faktum zu erheben."  Mögen also auch namhafteste Wissenschaftler für den Tertiärmenschen eingetreten sein: Osborn, der große amerikanische Paläontologe, zweifelt nicht an der selbständigen Entstehung des Menschen neben dem Affen im Frühtertiär; Hermann Klaatsch war es, der als erster einen kulturfähigen Tertiärmenschen anzunehmen wagte; Dacqué postuliert nicht bloß den tertiärzeitlichen, sondern auch den sekundären, ja einen noch früheren Menschen als "artverschiedenen, gleich von allem Anfang an im Wesen differenzierten Typ" - irgendwie fand sich bisher noch stets die Möglichkeit zu einer Ausflucht, eine Gelegenheit, Einspruch gegen die Anerkennung der tertiären Herkunft des in Frage stehenden Fundes zu erheben.  Werden etwa Menschenzähne oder -knochen in unzweifelhaften Tertiärschichten gefunden, dann heißt es: Sie können ja durch Begräbnis oder sonstwie in diese Schichten hineingelangt sein!  Oder die Behandlung des Eolithenproblems: Als 1872 der französische Geistliche Bourgeois aus tertiären Mergelschichten zu Thenay-Orleans bearbeitete Feuersteine (sie sind noch heute als "Kuriosa" im Museum zu St. Germain zu sehen) ausgrub, hatten die Skeptiker nichts Eiligeres zu tun, als sie als "Zufälligkeiten" zu erklären - damit leben die "lusus naturae" wieder auf, mit denen man vor 200 und mehr Jahren Saurierskelette erklären zu können vermeint hatte.  Für die Eolithen aber setzten sich Forscher wie Klaatsch und Hahne nachdrücklichst ein.  Der Afrikaforscher Schweinfurth stellt für Ägypten 58 Eolithenformen fest, Verworn sieht in den Eolithen Zeugen für die wichtige Tatsache, "daß die miozäne Bevölkerung (des Cantal) eine Kultur besaß, die unmöglich den Anfang der menschlichen Kulturentwicklung gebildet haben kann.  Die Auswahl des besten Steinmaterials, die Kenntnis der künstlichen Spaltung und Randbearbeitung des Feuersteins, die Differenzierung bestimmter Werkzeugtypen für spezielle Zwecke, der Beginn einer zweckmäßigen Formgebung ... das alles sind Kulturerscheinungen, die bereits eine lange Reihe von Erfahrungen voraussetzen.  Dadurch rücken aber die Anfänge der Kultur weit unter das obere Miozän zurück, zum mindesten bis ins ältere Tertiär..."  Luschan berichtet über Funde aus der Umgebung Thebens, die besonders zu denken geben: "Dort gibt es ausgedehnte Flächen, auf denen künstlich zerschlagene Steinwerkzeuge so häufig sind wie Grashalme auf einer Wiese, und auch die Felsen selbst ... enthalten sichere Steinwerkzeuge...  Diese Felsen sind aber als Sedimente eines großen Süßwasserbeckens entstanden, von dem die Geologen sagen, daß es viel älter sei als der Nil ... dabei entsprechen diese Steinwerkzeuge noch lange nicht den ältesten aus Frankreich bekannten Typen."
Aber trotz solchen schwerwiegenden Zeugnissen - die Echtheit der Eolithen wird nach wie vor bestritten, mit dem Argument: in der Kreide vorkommende Feuersteine könnten ja durch Druck, Abrollen an offenen Stellen der Steinbrüche, natürliche Sprengwirkungen oder Fortschwemmung so zugerichtet werden, daß der Eindruck entstünde, sie seien von Menschenhand bearbeitet!  Menghin ist dafür, die Eolithen mit aller Reserve zu behandeln, allerdings fügt er hinzu, daß auch "mit der Ablehnung der Eolithentheorien gar nichts gegen die Möglichkeit tertiärer ... Menschenfunde gesagt ist.  Allerdings halte ich es nicht für wahrscheinlich, daß man solche auf europäischem Boden machen wird, sie sind viel eher im zentralen Asien zu erwarten, wo aus paläontologischen Gründen die Urheimat des Menschen zu vermuten ist." (?)


Inzwischen aber mehren sich die neuen Funde aus dem Tertiär.  Es sind - außer den angezweifelten eolithischen Artefaktfunden (bearbeiteter Feuer- stein) - Fußspuren und Knochenstücke.

In Otjiwarongo (Südwestafrika) findet 1931 der Arzt Dr. du Plessis die Quarzfüllung einer menschlichen Fußspur in einer unzweifelhaft tertiären Umgebung - in der Nähe liegt der Fundort eines 1929 aus einem Grab herausgeholten versteinerten Stirnbeins.  Eine andere berühmte Fußspur existiert in Südwestafrika, und zwar eine sechszehige Spur (die man als Hottentotten- oder Buschmannerzeugnis hinzustellen versucht hat). -
Im Wiener Naturhistorischen Museum wird ein 7 Meter unter der Humusschicht ausgeschnittener Lavablock aus Nikaragua aufbewahrt, er ist vordiluvial und zeigt eine menschliche Fußspur. - In Georgia, auf der Spitze des "Verzauberten Berges", gibt es in langer Reihe Fußabdrücke von Erwachsenen und Kindern und unbeschlagenen Pferden, bei Carson/Nevada Abdrücke von Mammut, Wolf, Pferd und Mensch.  Über die "versteinerte Schuhsohle aus dem Mesozoikum" ist an dieser Stelle schon berichtet worden. - Berühmt ist die paraguayanische sogenannte "Fußspur des heiligen Thomas" (die auch als Chirotheriumfährte gedeutet worden ist) auf einer tertiären roten Sandsteinplatte, dort gibt es auch noch drei weitere Spuren, die Ähnlichkeit mit menschlichen Fußabdrücken zeigen und "noch nicht erklärt sind". - Im Frühjahr 1918 wurden bei Hol (bei St. Gilles-Waes, westlich Antwerpen) in der Nähe von Feuersteinscherben (Bohrer und Schaber), künstlich aufgebrochenen Röhrenknochen von Walrossen und gesägten schmelzkantigen Zähnen einer altertümlichen Raubhaifischart im Spättertiärschotter Zehen- und Fußballenabdrücke von Menschen festgestellt.

Das ist eine kurze, leicht zu verlängernde Liste.  Dazu kommen nun die Skelettfunde: der Pithecanthropusfund von Cohuna/Melbourne, aus einer pleistozänen Schicht in mineralisiertem Zustand herausgegraben (12 Millimeter starke Schädelknochenverdickung, sehr prognathes Gesicht, fliehende Stirn); der Knochenrest- und Zähnefund (neben Steinwaffen und zerschlagenen Tierknochen) Ameghinos in der südamerikanischen Pampeanosschicht; der berühmte Atlaswirbel- und Oberschenkelfund vom Monte Hermoso bei Buenos Aires (Tetraprothomo argentinus).

Auch Dubois' Trinilmensch (Pithecanthropus erectus, Java, 1891) ist, aus einer Tertiärschicht des Steilufers des Flusses Bengawan herausgeholt, als Tertiärfund angesprochen worden.  Auch um ihn tobte der Kampf der Meinungen - es handle sich gar nicht um einen Menschen, hieß es, sondern um eine ausgestorbene Affenart aus der Gruppe Hylobates, jedenfalls um ein posttertiäres Relikt (Virchow, Ranke)!  Das gleiche für und Wider wie beim Piltdownfund (Eoanthropus-Homo Dawsonii; ein vielleicht tertiäres "affenschnäuziges Wesen mit hochentwickeltem, fast rezentem Herrenschädel") und neuerdings beim Pekingmensch (Sinanthropus Pekinensis, drei Schädel, ganz oder Bruchstücke, Skelett-Teile, Zähne, Überreste von über einem Dutzend Menschen, aus einer sehr harten Travertinschicht abgelöst, 1930), der "geologisch noch in die Tertiärzeit gehört, und zwar handelt es sich um jüngstes Tertiär und ältestes Quartär, also um die ältesten Spuren des Menschen überhaupt, die wir - abgesehen vom Pithecanthropus erectus von Java - wissenschaftlich kennen".  Sein äußerer Habitus: stark entwickelte Augenwülste, hohes Schädelgewölbe, zurücktretendes Kinn, lange, robuste Zähne, bis 18 Millimeter dicke Schädelknochen.  Aber der Pekingmensch verfügt jedenfalls über einen hohen Grad von Intelligenz - neben ihm sind technisch vollendete Werkzeuge gefunden worden, auch konnte er Feuer erzeugen, also handelt es sich um einen "richtigen Menschen".
Die Auffindung gerade dieser Skelettreste eines Pleistozänmenschen - darunter eine vollständige Hirnschale - kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.  Chronologisch scheint die Pekingrasse zwischen der - noch urtümlicheren - Javarasse und der Neandertalrasse zu stehen; die Verankerung der Menschheit zunächst einmal im Spättertiär mit mindestens zwei nachgewiesenen Rassen wäre damit als sicher erwiesen.

Also läßt sich - auch ohne Einbeziehung der Cohuna-, Pampeanos - und Monte Hermosofunde - bereits eine Art Genealogie der urtümlichsten Menschenrassengenerationen zusammenstellen.  Als älteste (derzeit fossil sicher belegte) Menschenrasse muß der Javamensch, der "weiteste Vorstoß abwärts in die Morphogenese des Menschenskeletts", bezeichnet werden (der eine alithische Holzkultur besitzt?).  Dann folgt der Pekingmensch - wohl gleichzeitig mit dem Heidelberger und Piltdownmensch.  Und dann erst der Neandertaler, der in das älteste europäische Paläolithikum einzuordnen wäre.
Der Pekingmensch ist es also, der die großen erdgeschichtlichen Umwälzungen an der Schwelle des Quartärs miterlebt, diese Perioden stärksten Vulkanismus und kataklysmatischer Großkatastrophen.  Und daß auch vor ihm, also im Tertiär, Menschenrassen existiert und Kulturentwicklungen stattgefunden haben müssen, steht allein angesichts der Pekinger Einbettungsfunde fest: Tausenden, aus Quarz und anderen Steinen, aus Hirschgeweih und Hirschknochen hergestellten Werkzeugen und Gefäßen - und angesichts der Tatsache, daß der Pekingmensch bereits im Besitz des Feuers war.  Und erst nach dem Pekingmenschen, also im Quartär, kommen der Neandertaler und die Neandertaloiden: die Menschen von Gibraltar, Spy, La Naulette, Ochos-Mähren, Krapina, Moustier, Correze, Malta und Rom.


Im Zusammenhang mit diesen Funden und Feststellungen darf man aber auch folgender, sehr berechtigten Frage nicht aus dem Wege gehen:
Die geologische Abfolge im Tertiär ist kaum unterbrochen.  Es ist bei manchen Fleischfresser-, Huftier- oder Nagetierarten möglich, ihre Entwicklung durch Millionen Jahre zurückzuverfolgen.  Warum findet man nun ausgerechnet menschliche Skelette und Skeletteile und Artefakte hauptsächlich aus Quartärablagerungen und nur selten ältere Spuren des Menschen?
Auf diese Frage hat zunächst einmal schon Darwin die Antwort vorweggegeben, als er die Situation der Paläontologen, die die Fossilien führenden Erdschichten durchstöbern, folgendermaßen kommentierte: "Studieren und durchforschen sie nicht eine Urkunde, die tausend Bände zählt und tausend Länder behandelt?  Aber von den tausend Bänden ist nur hier und da einer erhalten.  Und der gerade gerettete Band ist ganz und gar nicht intakt.  Er bezieht sich nur auf zwei oder drei Länder.  Zahllose Seiten aus dem Band fehlen - und auf den erhaltenen Seiten sind nur wenige Zeilen lesbar!"
Fossilfunde sind also Zufallstreffer.  Im Grunde ist es wenig weise, überhaupt von einer "Beweiskräftigkeit" des Fossilmaterials zu reden.  Man bedenke: Paar Dutzend fossile Menschenskelette sind bis jetzt zutage gefördert worden - die sich aber auf Hunderttausende oder gar Millionen von Jahren verteilen!  Das Inventar der Anthropologie ist also bedauerlicherweise ein höchst kümmerliches.  In Afrika gibt es sechs Fundorte (Broken Hill, Springbock-Flats, Boskop, Oldeway, Ägypten, Südtunis).
Aus Asien (Palästina, Syrien, Indien, Nordchina, Mongolei) besitzt man etwa ein Dutzend, aus Australien nur unsichere Menschenfunde, Amerika in dieser Hinsicht noch so gut wie Terra incognita, in Europa kennt man gegen 50 Fundorte.
Das ist das Gesamtinventar.  Man ist also wohl berechtigt, von "Kümmerlichkeit" und "Zufallstreffern" und "Einzelfunden" zu sprechen.  Die Schädelfunde stehen meistens in der Variationsbreite des heutigen Menschen - aber was besagt das neben der Tatsache, daß schon die paar altdiluvialen afrikanischen Funde drei verschiedenen Rassen angehören. -
Und was weiter das Seltenheitsmoment von Tertiärfunden anlangt: Dacqué und Hörbiger haben schon seinerzeit darauf hingewiesen, daß der Tertiärmensch auf heute meerüberfluteten oder vereisten Ländern gelebt haben mag.  Wer also weiß, was eine stratigraphische Durchforschung etwa der noch über das Meeresniveau ragenden atlantischen und lemurischen Kontinentreste, der Arktis oder der Antarktis an menschlichen Fossilresten zutage fördern wird! - Auch ist weiter zu erwägen, ob nicht schon sehr früh ein Begräbnis- oder Vernichtungszeremoniell eingeführt war (Brandbestattung), das die Erhaltung frühmenschlicher Reste ausschließt.

Und auf noch einen anderen, besonders merkwürdigen Umstand im Zusammenhang mit der verhältnismäßigen Seltenheit tertiärer Menschenreste macht Corvin aufmerksam: "Es muß auffallen, daß man auch in Schichten, die massenhaft Reste von Tierskeletten enthalten, nie auf die stets gesuchten Übergangsformen vom Affenmenschen zum Menschen stieß, und man hat darüber in der Tat lange genug gestaunt.  Wahrscheinlich ging man zuerst von der falschen Voraussetzung aus, ein Wesen zu suchen, dessen Größe annähernd der des heutigen Menschen entsprach, während es sehr wohl möglich und sogar wahrscheinlich ist, daß dieses Geschöpf nur ein paar Spannen lang war.  Wir sind zu dieser Annahme deshalb berechtigt, weil wir ja zu wissen glauben, daß der Ahn unseres Pferdes nicht größer als ein Kaninchen war.  Wir wissen zudem, daß die frühen Affen ausnahmslos sehr kleine Burschen waren; es ist also recht wohl glaublich, daß unser Urahn uns nicht viel höher als bis zum Knie reichte, ein winziges, dünnhäutiges Wesen. .... Man hat niemals bis vor sehr kurzer Zeit daran gedacht, auf so kleine Knochenreste zu fahnden, wenn man an den Urmenschen dachte.  Wo man derartige Knochen, einzeln oder in regellosem Gemenge mit anderen Skelettresten, fand, klassifizierte man sie mehr oder weniger sicher falsch ein, und Klaatsch schildert sehr humorvoll, daß sich zweifellos in vielen Naturaliensammlungen, Museen und Kabinetten eine ganze Anzahl der verschiedensten Urmenschenknochen unter falschen Namen befinden mögen."
Damit ist das wichtige und interessante Problem der Frühexistenz einer Zwergmenschheit aufgerollt.


Das hohe phylogenetische Alter der Zwerge steht ohne Zweifel fest.  Mag sein, daß die Pygmäen anthropologisch die älteste erhalten gebliebene Menschenschicht darstellen, in der menschlichen Stammesreihe stehen sie jedenfalls lange vor dem Neandertaler (Menghin).  Nicht nur, daß alle heute noch existierenden - oder besser: vegetierenden - altertümlich-primitiven Menschenformen: zentralafrikanische Pymäen-Akka, Wädda, Negritos, die "Waldmenschen" von Celebes (Toala), die Kubus, Aghai Ambos (Neu Guinea), die Orang Pendek nicht zu vergessen, ausnahmslos (neben Langarmen und Schwachbeinen) Kleinwüchsigkeit aufweisen; auch unter den ausgestorbenen jüngeren Menschentypen sind durch Funde extrem kleiner steinzeitlicher Skelette auffallend viele Pygmoide (Kleinwüchsige) und noch mehr Pygmäen (Zwergwüchsige) belegt.
Das gilt für die Funde in den Höhlen von Lang-Cuom (Tonkin), das gilt für die Hauserschen Moustierskelette (140-150 Zentimeter) wie für den 1,60 Meter hohen alten Mann aus La Chapelle aux Saints, für die, wie Menghin angibt, von den Anthropologen bisher viel zu wenig beachteten spätmiolithischen afrikanischen Pygmoidenskelette und vor allem für die knapp 1,60 Meter hohe stark negride, buschmannverwandte frühmiolithische Grimaldirasse Südeuropas.
Also sind offenbar auch die Menschen jenem Gesetz unterworfen, das für alle Wirbeltiere im Anfang ihrer Entwicklungsreihe kleingewachsene Formen nachweist.  Auch in der Stammeskurve des Menschen dominiert irgendwo der Zwerg - der einstmals die Erde, wenigstens in ihren mittleren Breiten, in Europa bis zu den Alpen, überflutete, heute, längst auf das Aussterbeetat gesetzt, nur noch in den tropischen Dschungelwäldern zwischen Zentralafrika und Südasien-Neu Guinea vegetiert.
Auch der (fossil belegte) holz-steinzeitliche europäische Frühdiluvialmensch war ein Zwerg, wenig mehr als 150 Zentimeter hoch - überdies krumm- beinig, in den Knien eingeknickt, ein Duckmensch mit gebücktem Kopf, der nur zögernd aufrecht daherwatschelt.
Das wird erst - aber dann mit einem Schlage - anders, als, im Europa der Würm- und Baltischen Eiszeit (nach dem Penk-Brücknerschen Eiszeitsystem), eine neue Rasse auftaucht: die Aurignacenser-Cro Magnonmenschen, eine Homo Sapiensrasse in modernem Sinne: groß, schlank, mit durchstreckten Knie, entwickeltem Kinn, normalen Augenbrauen.  Mit ihr beginnt die biologische Gegenwart.


Soweit die Anthropologie noch an der Deszendenztheorie im Haeckelschen Sinne festhält, hinkt sie also meilenfern hinter den neuen Erkenntnissen her.  Das äußerste, wozu sie sich bequemen kann, hängt mit folgender Überlegung zusammen: Vor der "historischen" Zeit liegt die prähistorische (= jüngere Steinzeit), vor dieser die Altsteinzeit, die für das Quartärdiluvium anzusetzen ist.  Da nun aber bereits die Altsteinzeit ein verhältnismäßig hohes kulturelles Entwicklungsstadium bezeugt, "ist die Aufdeckung einer Vor-Altsteinzeit der menschlichen Kultur (die also nicht mehr ins Diluvium, sondern schon ins Tertiär fallen muß) zu erwarten!"
Im Gegensatz zu dieser verklausulierten Konzession steht die Meinung jener Forscher, die sich nicht engherzig auf das Minimum "gesicherter Tatsachen" beschränken, sondern mit wahrem wissenschaftlichen, mit hellseherischem Weitblick das Problem in seiner ganzen Größe und Tiefe anpacken.  Es ist genau so, wie H. F. Osborn sagt, der von der menschlichen Erkenntnis hinsichtlich der Entwicklungslehre meint, daß sie im Grunde zwar "nur wenig Gewißheit und sichere Führung bietet, dafür aber unzählige Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten zwischen denen man wählen mag".  Oder wie Steinmann - Dacqué sagt von ihm, er sei der einzige Paläontologe, der aus den neueren stammesgeschichtlichen und vergleichend anatomischen Erkenntnissen die entsprechenden Schlußfolgerungen auch für den Menschenstamm gezogen habe - in seinem "Ursprung der Menschheit" zur Frage der Tertiär- und Sekundärexistenz der Menschheit schreibt: Weil Skelettreste und Werkzeuge des Menschen erst aus der Diluvialzeit bekannt geworden seien, halte man den Menschen als solchen erst für ein Erzeugnis dieses letzten erdgeschichtlichen Abschnittes.  Wahrscheinlicher sei es, daß der Mensch ... schon zur Tertiärzeit existierte, wenn auch in einem etwas anderen, stammesgeschichtlich altertümlichen Gewand. ....  Offenbar haben beide Typen (Mensch und niedere Primaten) schon am Anfang der Tertiärzeit eine lange selbständige Geschichte hinter sich, so daß man den Schluß nicht mehr ausweichen könne, daß die ganze Sippe in mehreren getrennten Linien in das mesozoische Zeitalter zurückreiche.
Hanns Hörbiger hält das Dagewesensein des Tertiär-Alluvialmenschen für bewiesen und fährt fort: "Wenn wir nun weiter zurück auch den Sekundärmenschen schüchtern andeuten..., so ist damit eben der Urstock gemeint, auf dessen mittleren Stamm ... ein bereits zielstrebig gerichtetes Reis aufgepfropft wurde, um so schon viel früher zum aufrechtgehenden Säuger von allmählich dämmernder naturmenschenähnlicher Überlieferungs- und Denkfähigkeit zu gelangen, als die heutige, auf Grund der bloß quartäralluvialen Funde urteilende Paläoanthropologie vielleicht zugeben möchte." - Vielleicht fällt, nach Hörbiger, der erste Menschwerdungsaugenblick schon in das Primärkataklysma, da ja "gerade in kataklysmatischen Zeiten reichliche Gelegenheit zur Artenabspaltung, zur wiederholten Isolierung, zur divergierenden Emporzüchtung und beschleunigt 'progressiv gerichteten' Entwicklung geboten erscheint".
Auch Herman Wirth steht auf dem Standpunkt, daß der (von ihm postulierte, in der Arktogäa Hochkultur entwickelnde) arktische Nordmensch schon im Tertiär entstanden sei, um dann bei fortschreitender Vereisung der Arktis im Diluvium nach Nordamerika, Nordasien und Atlantis abzuwandern.
Karst hält die Existenz von vordiluvialen Atlantisvölkern für gesichert und statuiert speziell einen tertiärzeitlichen Inselkontinent (Uratlantis) im Indo-persischen Ozean als Urheimat von Völkern vom Typ der Ibero-Äthiopier, der dann durch einen neptunisch-plutonischen Kataklysmus etwa zu Beginn der ersten eiszeitlichen Verwüstung im nordwestlichen Eurasien großenteils untergegangen sei.  In diesem Zusammenhang wichtig ist auch die früharabische Tradition von einem vorarabischen großen Volke Ad, das vordem das ganze süderythräisch-äthiopische Arabien beherrscht hätte und ebenfalls durch einen Kataklysmus untergegangen sei.  Überdies nimmt auch Karst, wie Dacqué, einen urzeitlichen, zwischen Ceylon und Südafrika gelegenen Inselkontinent an: Lemuria-Gondwanaland, der Ursitz der ältesten (Tertiär- ?, Sekundär- ?) Menschheit.


Das also ist der Standpunkt von fortschrittlich eingestellten Forschern, von Anthropologen wie Paläontologen, von Archäologen wie Ethnologen und Prähistorikern.  Nach Steinmann und Klaatsch war es vor allem Dacqué, der diese Wege gewiesen hat.  Und zwar radikal und bis zu den letzten Konsequenzen: "Wir dürfen erwarten, schon im Altmesozoikum, ja im Spätpaläozoikum den Menschenstamm als solchen zu finden, das heißt ein Wesen, das sich entelechisch durch seine Menschenhaftigkeit, also auch durch gewisse seelische und geistige Besitztümer, von der übrigen Tierwelt unterschied." - Diese These ist in letzter Zeit, speziell nach der stammesgeschichtlichen Seite hin, so ausgiebig kommentiert worden, daß es ausreichte, zunächst einmal die Affenabstammungstheorie ad absurdum zu führen.  Die Bresche, die in die Darwin-Haeckelsche-Theorie geschlagen worden ist, wird nie mehr - auch trotz etwa der Weinertschen Vorschläge - zugekleistert werden können.  Westenhoefer hat 1926 mit seiner Erklärung Aufsehen erregt, daß es leichter sei, den Affen vom Menschen herzuleiten als umgekehrt.  Der Mensch ist eben in gewisser Hinsicht ursprünglicher als der Affe (Hand!).  Beide sind selbständige Primatenzweige, beide entspringen wohl an der Wurzel des Säugetierstammes, weiter aber haben sie miteinander nicht allzu viel zu tun.  Klaatsch, Heilborn, Bolk und Dacqué vor allem haben darauf hingewiesen, daß mit dem Augenblick, da eine Tierform hinsichtlich ihrer Organausbildung bis zu einem bestimmten Grad spezialisiert ist, sie auf diese Spezialisierung auch festgelegt bleibt.  Etwas prinzipiell Neues wird aus ihr nicht mehr entstehen.  Solche - definitive - Herausspezialisierungen finden sich aber bereits sehr früh.  Schon Sekundärlandtiere verfügen über Anlage zu aufrechtem Gang auf den Hinterbeinen.  Zu ihrem biologischen Inventar gehört bereits der opponierbare Daumen - so bei den Chirotheriumfährten oder bei aufrechtgehenden Iguanodonten aus belgischen Unterkreideformationen.  Die Theromorphen aus dem Sekundär haben bereits ein säugetierartiges Gebiß.  Schon im Primärende (Perm) beginnen - mit Fünffingrigkeit, Sohlengängerei und anderen Merkmalen - Säugetiereigentümlichkeiten sichtbar zu werden. 
Eine Ableitung der Menschenform von einem höheren Tier kommt also sicherlich nicht in Frage - dagegen aber - nach der Dacquéschen "Typenlehre" - die Annahme, daß die einzelnen Tiertypen, also auch der Typ "Mensch", von allem Anfang an artverschieden und differenziert gegeben sind und unabhängig voneinander, ihren Artenkern, ihr "Wesen stets bewahrend", fortbestehen.  Proteisch aber wandelt sich ihr äußeres Gewand - unter der Imprägnierungskraft der für jedes erdgeschichtliche Zeitalter eigentümlichen "Zeitsignaturen", der die biologische Erscheinungsform bestimmenden "Lieblingsrequisiten des Zeitalters".


Einst wird die Zeit kommen, da auch die offizielle Anthropologie die vorläufig verfemte These von der Tertiärexistenz des Menschen akzeptieren wird.  Sie wird sie dann, wie das zu geschehen pflegt, als etwas längst Erwartetes und Vorausberechnetes, sie wird sie wie eine Selbstverständlichkeit übernehmen.  Heute ist es noch nicht soweit - mag auch die Tatsache der Existenz eines Tertiärmenschen an sich eines Beweises kaum mehr bedürfen.  Oder richtiger: nicht die Existenz eines Tertiärmenschen allein, sondern, ganz allgemein, die Zurückverlegung der Menschheitsentstehung in ganz frühe erdgeschichtliche Zeiträume.
Tatsächlich ist es aber heute schon soweit, daß Haeckels Affenabstammungstheorie, die den Menschen von den Halbaffen, niederen Affen und Menschenaffen - durch Einschaltung des berüchtigten Missing link - herleiten möchte, nicht nur für eine Revision reif erscheint, sondern für eine Ersetzung durch eine grundlegend neue Theorie, die mit der Auffassung Schluß macht, das zoologische Genus Homo sapiens sei eben wie ein Homo ex machina mitten in eine in einem Hochstadium der Ausbildung und Spezialisierung befindliche tierische Umwelt fix und fertig hineingeboren worden, als Wipfel eines Stammbaumes, als dessen Samenkorn und Keim einst, vor Jahrmillionen, die primitivste, mit ersten Spuren Eigenleben begabte tierische Zelle in den mütterlichen Schoß der Erde versenkt worden ist.
Daß der paläolithische Mensch - tertiäre, aber auch sekundäre - Vorfahren gehabt hat, wird also bald eine Binsenweisheit sein.  Und dann wird man nicht mehr daran vorübergehen können, daß es Hanns Hörbiger war, der den Kern des Problems klar erkannte, als er die Frage nach dem Alter des Menschen klassisch formulierte (Monatsheft "Schlüssel zum Weltgeschehen", Jahrg. 1929, Seite 39):
"Warum sollte denn gerade der geistig höchst entwickelte Säugertypus der geologisch jüngste sein?  Liegt es nicht viel näher, gerade diesen a priori als den geologisch ältesten zu betrachten, der wegen seiner längst erreichten Vollkommenheit unter den höheren Arten fast allein dazu befähigt sein mochte, die kurzen Kataklysmen ebenso spurlos für unsere Paläontologen zu durchdringen, wie die ganze organische Welt mit ihm die langen Alluvien spurlos durchleben konnte?"  Und auch daran wird man nicht vorübergehen können, daß Hanns Hörbiger schon damals, 1912, imstande war ("Hauptwerk Glacialkosmogonie", Seite 384), das Rätsel der Nichtaufspürbarkeit von Menschenskeletten in Tertiärschichten aus seinen Einsichten heraus zu lösen: "Sollte man noch immer nicht ... glauben können, daß der tertiärkataklysmatische Eiszeitmensch die für ihn gefährlichen Einbettungsgebiete jederzeit zu meiden wußte? ... Der Eiszeitmensch weiß dieser echten, konservierenden transgressiven Leicheneinbettung lebendig und tot aus dem Wege zu gehen ... Ihn bedroht nur die diluviale Einbettung, und nicht die transgressive.  Daher finden wir vom Tertiärmenschen keine Körperspuren in den tertiären Schichten, sondern bloß in diluvialen Schlammerfüllungen der Eiszeit-Wohnungen ... Dieser Diluvialmensch ist daher so gut wie identisch mit dem Tertiärmenschen."


Zu solchen Perspektiven also weitet sich die Frage nach der Existenz eines sowohl biologisch als Homo sapiens anzusprechenden als auch kulturfähigen frühen Menschen.  Zunächst ist es nur ein materielles, also ein auf biologisch-historische und kulturelle Tatsachen sich stützendes Problem.  In seiner Totalität betrachtet, aber sprengt es diesen Rahmen.  Denn dann tritt es aus seinem irdischen Hintergrund heraus, mündet in ein größeres, in ein kosmisches und geistiges ein, nämlich in das Problem der Herkunft und Entstehung des Lebens an sich und des Wesens und der Herkunft der menschlichen Seele.
Damit aber findet eine rein materielle, eine biologisch-anthropologische, paläontologisch-ethnologische, historisch-kulturphilosophische Betrachtungs- möglichkeit ihre Grenze.  Sie wird in eine höhere Oktave transponiert: in eine metaphysische.

Eugen Georg


(Aufsatzquelle: Monatsheft "Schlüssel zum Weltgeschehen", Heft 8/9, S. 251-271, Jahrg. 1932, R. Voigtländers Verlag-Leipzig)




Verwendete Literatur (durch Eugen Georg) für den obigen Aufsatz:
H. F. Osborn: "Ursprung und Entwicklung des Lebens". Stuttgart.
Dr. S. Killermann: "Urgeschichte und Rassenkunde des Menschen". Regensburg.
Wenzel Zizka: "Vom Tier zum Menschen". Außig.
Dr. H. Weinert: "Der Stammbaum des Menschen im Wechsel wissenschaftlicher Forschung" in "Kosmos", Heft 6. Stuttgart 1932.
Michael Corvin: "Der Weg zum Menschen". Berlin.
Paul Mähler: "Die Urmenschen". Leipzig.
Dr. Bruno K. Schultz: "Herman Wirth und die Anthropologie" in "Herman Wirth und die deutsche Wissenschaft". München.
O. Menghin: "Weltgesc
hichte der Steinzeit". Wien.
Arthur Posnansky: "Kulturgeschichtliches und die astronomische Bedeutung des großen Sonnentempels von Tihuanacu". Conference faite au XXIe Congrès international des Américanistes. 1924.